Pressestimmen

Eröffnungsrede zur Ausstellung "Verena Hielscher: Textile Wandbehänge" von Antje Soléau
11. August 2006, im Rathaus Euskirchen

Herr Bürgermeister,
liebe Verena,
meine Damen und Herren,

der berühmte Schweizer Maler Paul Klee hat einmal gesagt: "Kunst stellt nicht das Sichtbare dar, sie macht sichtbar." Das gilt im übertragenen Sinne auch für seine Landsmännin Verena Hielscher. In einer Art Retrospektive dürfen wir miterleben, wie sich Verena Hielscher ausgehend vom klassischen Patchwork amerikanischer Provenienz über viele Jahre hinweg zu einer Textilkünstlerin ganz eigener Art entwickelt hat. Verena zeigt uns hier in dieser Ausstellung keine konkreten Abbildungen der Wirklichkeit, vielmehr erinnern ihre Kompositionen eher an die berühmten Garten - "Parterres" des französischen Barock. Hat André de Le Nôtre in Versailles mit unterschiedlichen Pflanzen, den vielfältigen Farben der Natur und den jahreszeitlichen Wechseln gearbeitet, so sind es bei Verena Hielscher die Farben, Muster und Texturen ihrer Stoffe, aus denen ihre Wandbehänge entstehen.

Ihre Wandbehänge, gleichgültig ob groß oder klein, leuchten in strahlenden Seiden oder nehmen sich in matten Baumwoll- und Leinenstoffen zurück. Immer aber sind sie irgendwie anders, als das, was wir gemeinhin unter Patchwork verstehen. Zwar hat auch Verena anfangs, wie schon gesagt, angeregt durch einen längeren Aufenthalt in den USA im traditionellen Stil Blümchen- und Polsterstoffe verarbeitet. Doch schon bald erkannte sie, dass dieser Weg zu eng war für ihre Phantasie und ihre Kreativität. Es entstanden geometrische Kompositionen mit Tiefe und dreidimensionalem Effekt.

Erstmals aufgefallen waren Verena Hielschers Patchwork -Arbeiten 1981 in der Bielefelder Kunsthalle im Rahmen der Landesausstellung zur Ermittlung der nordrheinwestfälischen Staatspreisträger für das Kunsthandwerk. Auch wenn sie seinerzeit nicht zu den Preisträgerinnen gehörte, war sie für die renommierte Fachzeitschrift "Kunst & Handwerk" eine Erwähnung wert. Danach waren ihre Arbeiten nur noch selten zu sehen. Der Grund: ein Kind, das ihre volle Aufmerksamkeit erforderte, und der Aufbau einer gemeinsamen Existenz mit ihrem Lebensgefährten, dem israelischen Keramiker Michael Moses, in Kall-Scheven. Seit etwa Mitte der 90er Jahre hat sie wieder mehr und mehr Zeit für ihr eigenes künstlerisches Werk gefunden. Es ist deshalb in den letzten zehn Jahren ein Oeuvre entstanden, das heute seines Gleichen sucht.

Die Vielfältigkeit der Farben, die Kontraste der Webstrukturen und der Oberflächentexturen sind für Verena Hielscher immer wieder Anreiz zu neuen Mustern und Kombinationen - so wie ein Komponist seine Noten immer wieder neu zusammenstellt, setzt auch sie Farben und Flächen immer wieder neu zusammen. Hat sie anfangs viel mit Krawattenstoffen und mit nicht-gefärbten Leinen- und Jeansstoffen gearbeitet, verwendet sie heute gerne leuchtende einfarbige Seiden, die sie mit viel Sensibilität mit klein gemusterten oder matten Stoffen mischt. In ihrer Formensprache kommt deshalb der Farbe eine ganz eminente Bedeutung zu. Ihre Gestaltungen sind im besten Sinne des Wortes farbig, ohne bunt oder gar schreiend zu sein. Es sind Gärten, in denen das Auge spazieren gehen kann.

Beim Entwurf ihrer großen Wandbehänge, aber auch der kleinen Miniaturen, lässt sich Verena fast ausschließlich von ihrer Intuition leiten, theoretische Farblehren können sie nicht beeinflussen. Es entsteht zunächst eine Idee im Kopf, daraus wird eine Skizze, an die sich die Suche nach dem geeigneten Material, also den Stoffen, anschließt. Es entstehen ihre ganz eigenwilligen und nicht kopierbaren Farbfelder. Die Ideen für ihre textilen Arbeiten findet die Künstlerin häufig in der Natur - Blätter im Wald, Steinformationen, bewegtes Wasser - oder auf Reisen, zum Beispiel in Israel und Palästina, aber auch in der heimischen Schweiz. Seelenverwandt fühlt sie sich dem eingangs zitierten großen Paul Klee. Wie er lehnt sie jede gerade Linie als steril und für sich selbst daher als untextil ab.

Ihre Farbstrukturen und die daraus entstandenen Formen unterstreicht sie wie viele andere Patchworkerinnen auch durch Quilten. Das heißt, sie unerlegt vor allem die weichen Stoffe mit einem Fliess, um ihnen mehr Ausdruck zu geben. Die Quiltlinien - und das ist Verenas Besonderheit - verlaufen bei ihr stets parallel zu den Farbfeldern. Dadurch erhalten diese Farbfelder eine nie zuvor gesehene Plastizität. Die Stoffe, die Verena Hielscher in ihren Behängen verarbeitet, können neu oder gebraucht sein. Die neuen findet sie im Ausverkauf oder in Restehäusern, die gebrauchten auf Flohmärkten oder im eigenen Kleiderschrank.

Hängen die Wandbehänge frei vor der Wand und sind die Miniaturen zur besseren Strukturierung in Rahmen gefasst, setzt Verena seit letztem Jahr verstärkt auf Materialkontrast. Das heißt, sie montiert ihre jüngsten Arbeiten auf glänzende, gebürstete Aluminium- oder Edelstahlplatten. Sie stellen einen reizvollen und gleichzeitig verblüffenden Gegensatz zum weichen, anschmiegsamen Textil dar. Die Behänge werden bildhafter.

Verena Hielscher bezeichnet sich selbst mit Blick auf das Patchwork als Autodidaktin. Das ist aber nur bedingt richtig. Eine Schneiderlehre und die Tätigkeit in de Couture haben sie den Umgang mit Textilien ebenso lernen wie ein Gespür für Farben, Formen und Perspektiven finden lassen. Hat sie in der Couture dreidimensional für den menschlichen Körper gearbeitet, so tut sie es inzwischen seit mehr als 25 Jahren zweidimensional für die Wand. Die Ausdruckskraft ist durch die Beschränkung im Format gewachsen.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Köln, 26. Juli 2006/ Euskirchen, 11. August 2006